Chemie
Chemie im Alltag
Hast du dich schon einmal gefragt, was passiert, wenn man Tinte mit einem Tintenkiller ausradiert?
15.05.2023
Wendelin Stark und Nevena Paunović bringen an der IChO 2023 Jugendliche aus 90 Ländern zusammen. Bild: ETH Zürich
1994 und 1995 reiste Wendelin Stark für die Schweiz an die Chemie-Olympiaden nach China und Norwegen. 2023 sind es Andrin, Sabine, Alex und Vivian. Bild: IChO 2023
Nevena Paunović (NP): Ich habe bei der Olympiade zum ersten Mal Laborarbeit in einem professionelleren Setting erlebt, und das hat mir sehr gefallen. Man fühlt sich wie ein Detektiv, der nur begrenzte Zeit hat, um Hinweise zu finden. Es hat Spass gemacht, mich selbst auf diese Weise herauszufordern. Ausserdem habe ich dort viele meiner besten Freunde und meinen Mann kennen gelernt.
Wendelin Stark (WS): Ich war etwa 15 oder 16, als mich mein Lehrer in Winterthur fragte, ob ich an einem internationalen Chemiewettbewerb in der französischen Schweiz teilnehmen wolle. Ich zögerte zuerst, allein dorthin zu reisen, aber am Ende hat es grossen Spass gemacht – obwohl die Sprache für mich die grössere Herausforderung war als die Chemie.
NP: Ich komme aus Serbien. Damals herrschte eine besondere Situation, denn nachdem sich unser früheres Land aufgelöst hatte, war es etwas unklar, wie die neuen Länder vertreten sein sollten. Es gab viele bürokratische Probleme. Sie wurden zwar am Ende gelöst, aber leider zu spät für mich.
"Als Jugendliche/r hat man es bisweilen nicht leicht, wenn man besonders gut in etwas ist. Aber bei der Olympiade ist das plötzlich völlig in Ordnung." Wendelin Stark
NP: Es ist eine tolle Erfahrung, Menschen mit der gleichen Leidenschaft zu treffen, aber jeder will gewinnen. Normalerweise bist du der Beste in deiner Schule, dann der Beste in deiner Stadt, dann der Beste in deiner Region – und dann nimmst du an der Olympiade teil und plötzlich sind alle richtig gut.
WS: Nun, es ist selbstgemachter Druck. Natürlich macht die Olympiade auch Spass, aber es ist kein Spiel: Jeder will Erfolg haben, ist konzentriert und das ist gut so. Als Jugendliche/r hat man es bisweilen nicht leicht, wenn man besonders gut in etwas ist. Aber bei der Olympiade ist das plötzlich völlig in Ordnung. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Andere besser sind.
WS: Ich habe gelernt, dass es mir liegt, mit anderen Menschen über ein bestimmtes Thema zu diskutieren und schnell zu sein. Das erlaubt einem, neue Gedanken zu entwickeln, spielerisch über Themen zu streiten, Theorien einzustampfen und weiterzumachen, immer wieder. Das bringt einen sehr schnell voran.
NP: Die meisten Leute, die an nationalen Wettbewerben in Serbien teilgenommen haben, haben erfolgreiche Karrieren in aller Welt. Mir wurde klar, dass es keine Rolle spielt, ob man eine Medaille gewonnen hat. Vielmehr habe ich gelernt, dass das Lösen von Problemen oft nicht einfach ist. Das hat mir geholfen nie aufzugeben, und wenn die Lösungsfindung mal schwierig ist, ist das spannend, aber keine Katastrophe.
"Was meine zeitlichen Ressourcen angeht, gibt es eine sehr wichtige Person: Patrick Willi. Er ist Doktorand in meinem Team, aber im Moment macht er extrem viel für die Olympiade. Ohne ihn wäre es unmöglich. Es ist eine Teamleistung." Wendelin Stark
WS: Ich wurde vom Schweizer Organisationsteam angesprochen und für mich war klar: die IChO muss hier her. Zum Glück bin ich seitens ETH offene Türen eingerannt. Alle sind motiviert, auch wenn die Ausrichtung der IChO natürlich viel Zusatzaufwand bedeutet. Was meine zeitlichen Ressourcen angeht, gibt es eine sehr wichtige Person: Patrick Willi. Er ist Doktorand in meinem Team, aber im Moment macht er extrem viel für die Olympiade. Ohne ihn wäre es unmöglich. Es ist eine Teamleistung.
WS: Die Olympiade ist ein Wettbewerb und die Probleme, das heisst die Prüfungsaufgaben, müssen klar und lösbar sein. Es gibt 90 Expertenteams, die diese Aufgaben in ihre Muttersprache übersetzen. Die Teilnehmenden müssen sie lösen und wir müssen das bewerten – keine leichte Sache, da es oft mehr als eine Lösung gibt. Wir müssen zudem Trainingsaufgaben für die Vorbereitung bereitstellen. Mehr wird nicht verraten (lacht).
NP: Ich bin CEO des zukünftigen ETH Spin-offs Transire Bio. Wir entwickeln schmerzfreie Alternativen für die Verabreichung von Medikamenten, die bisher nur über Injektion verabreicht werden können. Das betrifft Millionen Menschen. Unsere Technologie basiert auf einem von Kraken-Saugnäpfen inspirierten Pflaster, das auf die Wangeninnenseite geklebt werden kann. Von dort gelangen die Medikamente ins Blut. Ich freue mich drauf, den Teilnehmenden zu zeigen, wie wir diese Herausforderung gelöst haben.
"Mir wurde klar, dass es keine Rolle spielt, ob man eine Medaille gewonnen hat. Vielmehr habe ich gelernt, dass das Lösen von Problemen oft nicht einfach ist. Das hat mir geholfen nie aufzugeben." Nevena Paunović
WS: Alle sollen hier eine tolle Zeit haben und Kontakte knüpfen. Ich hoffe auch, dass die Teilnehmenden sehen, wie wichtig es ist, dass ein Land eine offene, demokratische Haltung hat, die es erlaubt, sich individuell zu entwickeln, und das Leben nach der eigenen Vorstellung zu leben. Ich denke, das ist das Wichtigste, was die Schweiz vermitteln kann: ein Verständnis für eine offene Gesellschaft und einen demokratischen Ansatz.
NP: Fähigkeiten zu erweitern, Erfahrungen zu sammeln und Leute aus aller Welt zu treffen ist eine Auszeichnung an sich und wird das Leben der Teilnehmenden in einer Weise beeinflussen, die sie sich jetzt nicht vorstellen können. Ich wünsche ihnen auch, dass sie die Zeit an der ETH geniessen und Freude am Lösen von Problemen haben.
WS: Ich wünsche allen, dass sie sich drauf freuen, sich hier vor Ort zu treffen, denn es ist aufgrund der Pandemie eine ganze Weile her. Ich würde auch sagen: Nehmt einen guten Sonnenhut mit, vielleicht Schwimmsachen. Das sollte neben den Lehrbüchern auf jeden Fall Platz im Gepäck haben.
Wendelin Stark ist ordentlicher Professor am Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften der ETH Zürich und leitet den Lehrstuhl für Functional Materials Engineering. Er ist Mitbegründer von 10 Unternehmen und hat 40 Patente erhalten. Seine Forschung kombiniert Materialien mit spezifischen Funktionen für medizinische oder industrielle Anwendungen. Bei der IChO 2023 leitet er das Wissenschaftliche Komittee.
Nevena Paunović doktorierte in der Gruppe für Arzneimittelformulierung und -abgabe von Professor Jean Christophe Leroux im Institut für Pharmazeutische Wissenschaften (ETH Zürich). Ihre Forschungsinteressen umfassen 3D-Druck, Biomaterialien, medizinische Geräte und personalisierte Medizin. Zurzeit ist sie ETH Pioneer Fellow und gründet das ETH Spin-off Transire Bio. Bei der IChO 2023 ist Nevena Paunović mit Transire Bio auf der Finding Solutions Fair vertreten.
Autorin: Julia Ecker, Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften, ETH Zürich. Originalartikel: «Spass, aber kein Spiel» – Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften | ETH Zürich, 03.05.2023